Warum wir bewerten wie wir Bewerten

Unsere Whisky Bewertungen und unser Bewertungsmaßstab

Liebe Whisky-Freunde,

wenn man einen Blog wie die Whiskycrew betreibt, stellt sich ja zwangsläufig die Frage, was man seinen Lesern eigentlich vermitteln möchte. Klar, in unserem Fall geht es darum, eine möglichst breite Auswahl an Whiskys zu präsentieren bzw. – und das ist das Entscheidende – zu klassifizieren. Wie aber erreichen wir das, oder anders gefragt, wie sind unsere Einträge eigentlich zu verstehen und zu interpretieren?

Um das zu erläutern ist es, so denke ich, hilfreich, wenn man kurz darauf eingeht, woher unsere Datensammlung (und folglich unsere Bloginhalte) eigentlich kommen und was die Grundidee dahinter gewesen ist. Eine Veröffentlichung unserer gesammelten Werke war ursprünglich nämlich gar nicht unser Ziel. Im Gegenteil, alles hat als rein private Sammlung von Notizen, die wir im Laufe vieler Tastings erstellt haben, seinen Anfang genommen. Die edlen oder manchmal auch weniger edlen Tropfen zu probieren und „durchzutasten“ war uns grundsätzlich zunächst genug.
Allerdings, und der ein oder andere Leser mag das Problem vielleicht kennen, irgendwann gerieten wir mit unserem Erinnerungsvermögen an einzelne Whiskys an unsere Grenzen. Und nein, das abnehmende Erinnerungsvermögen liegt weder an der Häufigkeit noch der Intensität unserer Probierabende…!
Logisch, einzelne Highlights bleiben einem im Gedächtnis, Lieblingswhiskys oder Totalausfälle wird man sich jederzeit im Detail in Erinnerung rufen können. Was aber mit der Vielzahl derer, die sich zwischen diesen beiden Extremen anfinden?

Kurz gesagt, es erschien uns im eigenen Interesse als hilfreich, zu jedem probierten Whisky ein paar Tastingnotes aufzuschreiben, um im Fall der Fälle darauf zurückgreifen zu können.
Und damit ist einer der wesentlichen Anteile unserer Einträge bereits erklärt: wir tasten, wir besprechen und wir einigen uns auf die wesentlichen Aspekte des probierten Whiskys bezüglich Geruch, Geschmack und Abgang.
Spannend daran: nahezu alle Tastingnotes entstehen mindestens zu zweit, meist zu dritt. Wirkliche Meinungsverschiedenheiten gibt es dabei selten. Gelegentlich interpretiert einer von uns eine bestimmte Nuance etwas anders. Es handelt sich dann aber wirklich um feinste Details. Eine Situation à la „Erdbeere!“ vs. „Nein, das ist Kümmel und Alge!“ hat es noch nie gegeben. „Vanille“ vs. „Vanilleeis“ schon – Details eben. Natürlich, es sind und bleiben nur zwei oder drei Taster, aber innerhalb unseres Tastingrahmens kann man durchaus davon ausgehen, dass unsere Notizen so objektiv und „mehrheitsfähig“ wie möglich sind.

Geringfügig komplizierter wird es bei unseren Bewertungen bzw. unserem Notensystem.
Eines vorweg: auch hier gilt das oben gesagte. Großartige Meinungsverschiedenheiten gibt es selten bis gar nicht. Will heißen, dass einer von uns einen Whisky als grottig, der nächste ihn als unglaublich gut bewertet, kommt nicht vor. Und darüber haben wir uns durchaus Gedanken gemacht. Beeinflussen wir uns gegenseitig? Ist Chris‘ Meinung ein Confounder meiner Bewertung? Passt Nikola seine Punktezahl an jemanden an, vielleicht auch unterbewusst? Wir sind der Meinung: Nein. Unsere Punkte vergeben wir fast immer blind, also ohne die Wertung der anderen zu kennen.
Haben wir drei also alle den selben Geschmack? Nochmals Nein. Eines aber haben wir: ähnliche, um nicht zu sagen identische, Qualitätsansprüche! Ganz sicher würde ich mir nicht die selben Whiskys kaufen oder zu meinen Lieblingen erklären wie meine beiden Kollegen. Aber ein gut gearbeiteter, interessanter, vielschichtiger Whisky bleibt einfach ein gut gearbeiteter, interessanter und vielschichtiger Whisky, völlig unabhängig davon, ob er mein persönlicher All-Time-Favourite ist oder nicht.
Und genau das erklärt den Umstand, dass es in unseren Wertungen zwar Unterschiede gibt, aber eben zumeist nur im Bereich weniger Punkte. Es sind diese kleinen Unterschiede, die Ausdruck unserer unterschiedlichen Geschmäcker sind.
Zusammengefasst: Der überwältigende Anteil unserer Noten ist Qualität bzw. „Leistung“. Und in eben dieser Basis stimmen wir quasi immer überein. Dann – und erst dann! – kommt ein kleiner Anteil des persönlichen Geschmacks dazu – zusammen ergibt das unsere jeweilige Wertung.
Und warum das alles? Nach zahlreichen unserer Notizen hatten wir einfach das Bedürfnis, für uns selbst gewissermaßen „Benchmarks“ zu schaffen. „Was ist ein guter Whisky und wie bewerten wir ihn im Vergleich zu einem anderen.“
Das ist streng genommen schon das ganze Geheimnis hinter unseren Blogeinträgen. Sie sind unsere persönliche Whiskydatenbank, die wir dann irgendwann angefangen haben zu veröffentlichen, damit auch andere Whiskyfreunde davon profitieren können.

Wie also liest man dann eine (beispielhafte) Bewertung von „Chris: 78, Nikola: 77, Phillip: 81“?
Ganz einfach: es handelt sich hier um einen Whisky, der von uns als „ordentlich bis gut“ angesehen wird und meinen persönlichen Geschmack eben noch ein wenig mehr trifft als Chris‘ und Nikolas Geschmack. Das hilft in Bezug auf die Frage, ob man sich diese Flasche ins Regal stellen kann, ohne sich in Bezug auf Qualität ärgern zu müssen. Und danach gilt es, die Tastingnotes selbst zu konsultieren, um herauszufinden, ob er dem eigenen, persönlichen Geschmack entspricht.

Ok, noch ein letztes Wort zu unserem so genannten Bewertungsmassstab, und zwar ein sehr persönliches Wort (meine Kollegen sind zu Gegendarstellungen eingeladen).
Ich halte die Einordnung in Worte wie „gut“, „ordentlich“, „solide“ etc. für problematisch, gleiches gilt für Farben.
Erstens: der Massstab ist weder linear noch logarithmisch noch sonst irgendwas. „Exzellent“ macht 10 % der Skala aus, „sehr gut“ etc. aber nur jeweils 5 %, „akzeptabel“ bis „schlecht“ dann wieder jeweils 10 % und am Ende kommen 30 % „unterirdisch“.
Ja, kann man so machen, muss man aber nicht.
Zweitens: ist „solide“ zwangsweise schlechter als „ordentlich“? Und „gut“ per definitionem besser als die erstgenannten? In meinen Augen verbale Haarspalterei.
Was ich damit zum Ausdruck bringen will ist, dass es sich hierbei um einen Versuch handelt, das ganze etwas plastischer und greifbarer zu gestalten. Verbesserungen diesbezüglich sind aber denkbar und nicht ausgeschlossen und die Möglichkeit, eine Wertung von uns einfach als „X Punkte von 100“ zu interpretieren sei unbenommen, ungeachtet der von uns formulierten Kategorien.
(An der Stelle möchte ich anmerken, dass in die Entwicklung unserer Skala durchaus einiges an Denkarbeit investiert und von Chris mit viel Aufwand visuell umgesetzt wurde! Das will ich hier keinesfalls unerwähnt lassen, trotz meiner persönlichen Bedenken.)

Ich hoffe, ich konnte ein wenig Klarheit in Bezug darauf schaffen, wie unsere Einträge zustande kommen und wie sie zu interpretieren sind.
Sicher, ein etwas theoretisches Thema, aber vielleicht trotzdem für manche von Euch interessant. Der nächste Eintrag wird wieder flüssiger und alkoholischer, versprochen! Und, wer bis hierhin durchgehalten hat, der hat sich jetzt einen schönen Schluck des Lieblingswhiskys verdient.
In diesem Sinne: Zum Wohl und ein schönes Wochenende Euch!

Euer Phillip von der Whiskycrew